Thematische Vertiefung

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Die acht Vertiefungen in der Meditation (Jhanas)
Seminar-Vortrag von Ayya Khema
(*)


Die ersten Vertiefungen heißen
„Rupa-Jhanas“. Das sind die feinkörperlichen meditativen Vertiefungen. Rupa heißt „Körper“. Auch unser Körper ist Rupa. Alles, was materiell existiert, ist Rupa. Sobald Rupa im Zusammenhang mit den Jhanas steht, bedeutet es jedoch „feinkörperlich“.  Es heißt so, weil die Ergebnisse, die man dort hat, einerseits noch an das anknüpfen, was wir aus der (körperlichen) Wahrnehmung unseres Alltags kennen, gleichzeitig jedoch von wesentlich feinerer, differenzierterer Art sind, als es der Alltag außerhalb der Meditation zuläßt.

1.   In der ersten Vertiefungsstufe erleben wir ein „angenehmes Körpergefühl“.Wir kennen angenehme Körpergefühle, aber nur durch äußeren Anlass, nicht durch inneren. Dadurch, daß wir hier in der meditativen Erfahrung solche Gefühle durch inneren Anlass bekommen, ist dies eine viel wertvollere Situation, weil wir dadurch von äußeren Einflüssen unabhängig sind. Außerdem sind diese Gefühle, wenn man ernsthaft praktiziert, jederzeit beliebig wieder zu erzeugen. Ebenso kann man sie so lange anhalten, wie man will, und sie haben eine stark verfeinerte Art im Vergleich zu den Gefühlen, die wir von außen her durch unseren Körper vermittelt bekommen.


2.   Dasselbe gilt für die zweite Vertiefungsstufe, sie bringt ein Gefühl der „Freude“. Jeder hat schon Freude erlebt, es wäre entsetzlich, wäre es nicht so. Aber: Wir erfuhren Freude immer von außen durch unsere Sinneseindrücke: Durch etwas, was wir bekommen haben, was wir losgeworden sind, durch etwas was wir sehen, hören, riechen, schmecken, uns gedacht haben usw. Hier haben wir Freude ohne äußeren Anlass und in verfeinerterter Art: Wenn diese Freude innerlich zur Blüte kommt, empfindet man eine Art innerer Süße. Damit ist nicht ein Sinneseindruck, also ein süßes „Schmecken“ gemeint. Es ist vielmehr ein „inneres“ Gefühl von Süße. Ein Gefühl, daß sich da innen, in uns, etwas Wunderbares befindet. Wenn man normalerweise in sich hineinzuhorchen versucht, findet man nicht unbedingt gleich etwas Wunderbares. Praktiziert man aber ernsthaft, dann ist diese Erfahrung des Wunderbaren in uns ein sehr starkes Erlebnis. Wir bezeichnen dieses Gefühl als die „Nähe der Reinheit“, im Christentum „Gottes Nähe“. Wir sind unserer eigenen Reinheit, dem „Erleuchtungsfunken“ (im christlichen Glauben: dem „Gottesfunken“), nahe gekommen.

Es ist ein Gefühl, das man immer wieder herstellen kann, denn es ist ja nur der zweite Schritt. „Nur“ meint aber nicht, daß es etwa kein wichtiger Schritt sei. Es ist ein enorm wichtiger Schritt. Denn innere Freude ist ja genau das, was wir immer schon haben wollten, bisher aber immer nur durch die Sinneseindrücke bekamen. Wenn dieser Schritt einmal wirklich zur Blüte gekommen ist, dann hat man ein Juwel in sich und trägt es in sich. Dieser zweite Schritt ist ein Juwel, das mit nichts anderem in unserer Existenz vergleichbar ist. Das vorausgehende angenehme Körpergefühl muß lange genug gehalten werden, damit sich die Freude entwickeln kann. Dieses Körpergefühl soll, so hat es Der Buddha gelehrt, nach seiner Entfaltung absichtlich in den Hintergrund gebracht werden im Bewußtsein, daß es zwar feiner ist als die uns sonst bekannten äußerlich veranlassten Körpergefühle, aber andererseits auch nur eine Vorbereitung für die weiteren Vertiefungen. So kann man sich voll auf die Freude konzentrieren. Diese Freude, sie heißt auf Pali
“Sukkha”, hat eine andere Qualität als die Freude, die wir im Alltag kennen, ist aber mir ihr verwandt. Sie ist weicher, ausfüllender, der Reinheit näher... Deswegen entwickelt sie in unserem Inneren dieses Gefühl von Süße.


3.   Auch hier ist dem übenden Geist klar, daß diese Freude nicht das Ende der Entwicklung sein kann. Die beiden ersten Stufen, vor allem das angenehme Körpergefühl, haben eine gewisse Erregtheit in sich. Der Geist jedoch sucht nach Frieden und weiß daher von alleine, daß diese Stufe der Freude nicht der ultimative Entwicklungsschritt sein kann. Also läßt man auch hier – nachdem man sie voll ausgekostet hat – die Freude in den Hintergrund treten. Was jetzt von alleine in den Vordergrund tritt, ist ein Gefühl tiefster Zufriedenheit. Es ist das wunschlose Gefühl einer tiefen Stille. Man ist dabei immer noch der Beobachter wie in den ersten beiden Stufen. Der Beobachter, der genau weiß, was da los ist. Diese Wunschlosigkeit kommt daher, weil wir jetzt die innere Freude erfahren haben – also das, wonach unser inneres Sehnen ein Leben lang ausgerichtet ist: Wir wollen Freude erleben, auf welche Art immer. Jetzt, da wir sie haben, können wir sie loslassen, können uns wunschlos zufrieden in uns versenken. Das ist im Deutschen ein gutes Wort, wir senken uns wirklich in uns hinein, das Interesse an der Außenwelt verschwindet. In der Außenwelt gibt es diese Qualitäten von Freude und Zufriedenheit nicht. Natürlich kann man dort auch zufrieden sein, aber diese tiefe wunschlose Zufriedenheit, die so lange anhält, wie die Konzentration anhält, dieses Gefühl haben wir außen noch nicht erlebt. Das heißt also, wir gehen nach innen, um „dabei bleiben“ zu können.

In ersten beiden Schritten, dem angenehmen Körpergefühl und der inneren Freude, passiert es leicht - vor allem, wenn man noch nicht sehr geübt ist - daß der Geist von der Konzentration abrutscht und wieder beginnt, Gedanken zu bilden. Man kann aber immer den Faden wieder aufgreifen und die Konzentration erneut herstellen. Hier in der dritten Stufe wird ein solches Abgleiten nur noch selten der Fall sein. Daher stellt dieser dritte Schritt eine wirkliche Stille dar. Zum ersten mal erfährt man, was es heißt, wirklich Frieden zu haben. Über „Frieden“ dachten wir bisher immer, es wäre eine Art Vereinbarung oder Dokument, wie es etwa Staatsoberhäupter unterzeichnen. Dies ist aber nur ein Stück Papier. Davon hat noch nie ein Mensch Frieden gehabt. Das einzige Resultat daraus ist, daß im Moment keiner schießt, was natürlich gut und wichtig ist. Aber wirklicher Frieden ist das, was wir in der dritten Vertiefung erleben. Es ist das erste mal, daß wir wirklich verstehen, was Frieden heißt: Zum ersten mal haben wir Frieden in uns, weil wir wunschlos sind. Und daraus können wir nun zweifelsfrei erkennen, daß es die Wünsche sind, die uns den Unfrieden bringen.

„Nur wer selber in die Mango beißt, weiß wie sie schmeckt.“ Erst wenn man selber in diesem meditativen Zustand einmal eine gewisse Zeitlang wunschlos war, weiß man wirklich, wie es sich anfühlt: Das ist Frieden. Es ist der Frieden, den alle Menschen erreichen können. Es ist der Frieden, von dem alle Religionen sprechen, den aber leider die wenigsten praktizieren. Dazu gehört auch, daß er nicht erreichbar ist, wenn man ihn „haben möchte“ oder wenn man versucht, sich dazu zu erziehen. Man muß die richtigen Bedingungen erfüllen oder sich schaffen, um meditieren zu können. Und nur durch die Meditation kommt man der Reinheit, die jeder in sich trägt, so nah, daß man den wirklichen inneren Frieden erleben kann.
„Frieden auf Erden und den Menschen zum Wohlgefallen“, heißt es und wir dachten immer, das käme von außen. Es kann nur von innen kommen! Da drin sitzt der Frieden und nur da ist er erreichbar. Wir brauchen ihn nur zuzulassen, brauchen uns nur zu konzentrieren. Leider müssen wir uns fest vornehmen, zu praktizieren. Nur durch Wünschen oder durch irgend etwas anderes erfahren wir ihn nie. Nur selber praktizieren bringt Frieden. Dann hat man auch ein Gefühl von Wohlgefallen. Es ist ein Gefühl des Wohlbefindens, des Ganzseins, was uns in dieser dritten Stufe wiederfährt.

Es gibt ganz individuelle Möglichkeiten, diese Stufe zu erkennen. Das kann man als Wiedererkennungsmerkmal benutzen, um in der Folge den Eintritt einfacher zu erreichen. Zum Beispiel findet man hier nicht mehr diese Erregtheit der ersten beiden Stufen, welche sich oft anfühlt wie eine Woge, die etwa durch den unteren Teil des Körpers geht, während die darauf folgende tiefe innere Stille nach oben weist. Diese dritte Stufe ist gleichzeitig auch ein Moment der Einsicht: Es ist nicht nur der einzige Weg, Frieden zu erlangen, sondern es zeigt uns auch, daß das, wovon wir bisher glaubten, es brächte Frieden, bisher nie wirklich dahin geführt hat. Natürlich haben wir schon friedliche Situationen erlebt. Aber dieser Zustand hier hat eine andere Qualität: Wir können ihn erstens immer wieder herstellen, entsprechend ernsthafte Praxis vorausgesetzt, und er geht wesentlich tiefer als alles, was wir bis dahin als Frieden empfanden.


4.   Es gibt in den Kommentaren eine kleine symbolische Geschichte, die die ersten vier Vertiefungen verdeutlicht: Ein Mensch wandert durch die Wüste. Er ist verzweifelt, am Verdursten und sucht Wasser. Dann sieht er in der Ferne eine Oase mit einem Wassertümpel. Er ist angenehm erregt und freut sich. Das ist die erste Vertiefung: Man sieht, daß in der Ferne die Erlösung geschehen kann und ist stark erregt. Dann geht er auf den Tümpel zu, steht davor, sieht, daß es das ist, wo er hin wollte und freut sich darüber. Auch das ist noch mit eine gewissen Erregung verbunden. Dann geht er auf den Wassertümpel zu und trinkt. Die Gefahr des Verdurstens ist vorbei und es steigt eine starke Zufriedenheit hoch: Die dritte Vertiefungsstufe. Danach legt er sich unter eine Palme in den Schatten und ruht sich aus: Das ist die vierte Vertiefung.
In der vierten Vertiefungsstufe verstärkt sich die Stille aus der dritten Stufe zu einer anderen Qualität von Stille, die nicht mehr Zufriedenheit in sich hat. Es ist eine Stille, die aus nichts anderem als eben dieser Stille besteht. Die Stille „ist“. Es gibt weder Grund noch Ursache für sie. Oft wird diese 4. Vertiefung als „Gleichmut“ bezeichnet. Solange wir aber die Erfahrung des Gleichmuts noch nicht wirklich gemacht haben, ist es wohl besser, diesen Zustand einfach als tiefe innere Stille zu bezeichnen. Hier ist der Beobachter beinahe ausgeschaltet. Das heißt: Unser Ego muß schon sehr gering geworden sein, wenn man bis hierher gelangt ist. In diesem Zustand finden wir das stärkste Moment zur Regenerierung des Geistes. Hier findet der Geist am besten die Möglichkeit, zu Kraft zu kommen. Es ist eine Art Stille, die man schwer mit Worten beschreiben kann, weil man sie erleben muß.

Folgendes Bild könnte vielleicht helfen, zu verstehen, wie tief die vierte Vertiefung ist: Man steigt in einen tiefen Brunnen hinab. Ist man unten angelangt, hört man keine Geräusche mehr von außen. Dieses Bild soll jetzt aber nur als Symbol verstanden werden. Denn wenn wir in der Vertiefung anfangen, nach einem Geräusch zu hören, fallen wir natürlich gleich wieder aus der Konzentration heraus. Man geht also in diesen Brunnen so weit, wie man sich hineintraut. Darum geht es nämlich: Wenn man sich traut, seine Selbstbehauptung aufzugeben und damit das, was das Ich sich normalerweise so alles sucht und wünscht, dann gelangt man tief hinein. Diese Stufe ist eine sehr wertvolle Meditationserfahrung, die uns hilft, den Geist immer weiter zu klären, so daß er all diese weltlichen Machenschaften und Illusionen zerschneidet und uns zeigt, daß es sich gerade darum nicht im Leben handelt. Hier erfahren wir, daß es um etwas ganz anderes geht: Um innere Läuterung, inneren Frieden.

Es geht darum, das in sich zu verwirklichen, was in jedem spirituellen Pfad gelehrt wird und eines Tages dieser Pfad zu „sein“. Der Geist sagt uns: „In der Welt leben: Ja, natürlich. Aber: Dem nachjagen? Das ist nicht nötig, denn das weltliche Leben geschieht sowieso. Alles läuft auf der Welt ohne unser Zutun. Daß wir vielleicht irgendeine Position in dieser Welt einnehmen müssen, ist klar. Das ist notwendig, um uns zu ernähren. Aber den Körper zu ernähren und ihm alles zuzuführen, was er braucht, das alleine bringt uns nicht die Möglichkeit von Frieden und Stille. Auch diese Stufe der Stille gehört noch zu den feinkörperlichen Vertiefungen, denn wir haben sicher schon mal etwas Ähnliches erfahren, wenn wir uns sehr auf etwas konzentriert und eingelassen haben, beispielsweise beim Anblick eines Sonnenunterganges. Viele naturverbundene Menschen empfinden bei solchen Anblicken eine gewisse innere Stille. Dies geschieht dann aber erstens von außen durch die Sinneseindrücke, zweitens war es nicht beliebig wiederholbar und drittens hatte es nicht die Tiefe wie in der Meditation. Es ist unmöglich, in die Tiefe zu gehen, wenn man nicht bei sich bleibt. Dieses „bei sich Bleiben“ ist eine Fähigkeit, die man sich erst erwerben muß. Es ist eine Fähigkeit, die im alltäglichen Leben enormen Gewinn bringt, weil man in der Lage ist, im größten Trubel bei sich zu bleiben. Bei sich zu bleiben, ist das Wichtigste. Nur dann kann man aus dem eigenen Zentrum, aus sich selbst heraus agieren – und nicht als Reaktion darauf, was dieser Trubel um uns herum mit uns macht. Dann bleibt man wirklich mit dem verbunden, was man als sein Inneres empfindet. Das heißt: Man kann also durchaus auch auf dem Marktplatz der Welt den spirituellen Pfad weiter verfolgen. Und dabei ist es eben hilfreich, wenn man schon etwas in diese Vertiefungen hineingeraten ist. Das kann man dann wie als Rückgrat oder als Fundament verstehen. Was nicht bedeutet, daß man unbedingt auf dem Marktplatz in die Vertiefungen gehen muß, aber man hat die Möglichkeit, bei sich selbst zu bleiben. Um in die Stille, in die vierte Vertiefung zu gelangen, muß man sich vollkommen in  sich selbst versenken und die Welt drumherum erstmal loslassen können.

Diese ersten vier Jhanas sind häufig die einzig erwähnten Vertiefungen. Der Buddha hat aber auch noch vier weitere Vertiefungen beschrieben. Diese Stufen möchte ich im Folgenden kurz erklären, auch wenn sie im Moment bei unserem Übungsstand noch nicht aktuell sind, damit wir verstehen können, wohin uns die weitere Arbeit führt und wie uns das Verständnis der Vertiefungen innerlich zu einem anderen Menschen machen kann.

Die vierte Vertiefung ist der Ausgangspunkt für die nachfolgenden vier, die man die
„arupa-jhanas“ nennt. Die Vorsilbe „a-“ bedeutet „Nicht-“. Die vier arupa-jhanas sind somit „nichtkörperliche Vertiefungen“. Sie heißen deshalb so, weil sie uns auf Bewußtseinsebenen führen, welche nichts mehr mit dem Körperlichen zu tun haben. Die erste Vertiefung baut ja spürbar auf Körperlichkeit auf. In der zweiten, dritten und vierten Vertiefung finden wir noch Bezüge zum Körper. In den folgenden Vertiefungen finden wir keine körperlichen Anhaltspunkte mehr. Die Arupa-Jhanas können nicht mehr intellektuell beschrieben werden, deshalb wird ihre jeweilige Bedeutung durch Namensgebung erklärt.


5.   Die fünfte Vertiefung heißt „Die Unendlichkeit des Raumes“. Was da vor sich geht, ist Folgendes: Zu diesem Zeitpunkt, also wenn man aus der vierten Vertiefung herauskommt, existiert ein vollkommen anderes Körpergefühl, als wie wir es normalerweise kennen: Der Körper hat seine Konturen und Beschränkungen verloren, er ist durchlässig geworden, auch seine Schwere existiert nicht mehr. Nur deshalb kann er jetzt in die räumliche Weite gehen.Man kann absichtlich bewirken, daß sich dieses Gefühl fortsetzt: Etwa, wie der Buddha es beschrieben hat, breitet man sich bis zum nächsten Ort hin aus, dann durch den Wald und schließlich über den ganzen Erdball hinweg. Eine gute Möglichkeit, die unserem Verständnis nahe liegt, ist es auch, durch die Betrachtung des Himmels den Körper sich erweitern und bis in den unendlichen Raum hinein ausbreiten zu lassen. Hier existiert nichts anderes als diese Unendlichkeit des Raumes. Es ist ein Zustand, der intellektuell nicht vorstellbar ist. Die einzige Möglichkeit, dies zu erfahren, ist die Meditation. Unendlichkeit kann sich niemand wirklich vorstellen. Unendlichkeit bedeutet, daß sich dort nichts befindet, nur Raum, ein Raum, der nicht begrenzt ist.

Dieser Zustand bewirkt, daß man ohne nachzudenken ganz von alleine darauf kommt, daß da kein eigener Körper mehr, also auch keine eigene Person zu finden ist. Wir werden dadurch ohne weiteres Zutun mit der Tatsache konfrontiert, daß wir im Alltag einer Ich-Illusion unterliegen. Diese Ich-Illusion ist ein Denkfehler, der darauf aufbaut, daß wir ja durch die Gier des Sein-Wollens überhaupt erst hergekommen sind. Erst wenn wir das meditativ bearbeiten, kann dieser Denkfehler immer kleiner werden. Wir erkennen, daß nur ohne diesen Denkfehler der Ich-Illusion Frieden und Glück möglich sind: Zunächst in der Stille der vierten Vertiefung, wo der Beobachter schon sehr klein geworden ist. Und jetzt in dieser Stufe, wo der Beobachter zwar noch existiert, aber er selbst und das, was von ihm beobachtet wird, also der Raum, ein und dasselbe zu sein scheint.

Dieses Phänomen zeigt uns, daß wir eigentlich dorthin gehören, denn nur dort ist wirklicher Frieden. Zum Wesen des „Dorthin-Gehörens“ zählt, daß dann unsere Individualität, diese kleine Person, die wir sind, nicht mehr zählt. Dies ist ein Anfang der tieferen Einsicht. Deshalb nennt man die vier Arupa-Jhanas auch die „Vipassana-Jhanas“ (Einsichts-Vertiefungen). Man kommt, wenn man sich einmal auf dieser Stufe bewegt hat, gar nicht umhin, sich Gedanken darüber zu machen.


6.   Die sechste Vertiefung bezeichnet „Das unendliche Bewußtsein“. Von der fünften Vertiefung dorthin zu gehen, ist ganz einfach. Es ist nur eine Veränderung der Achtsamkeit. Ähnlich, wie wir in der ersten Vertiefung unsere Achtsamkeit auf dem Körper halten, dann diese Achtsamkeit bewußt in den Hintergrund treten lassen, um in die Freude einzutreten, welche tief in uns schon da ist, so ist auch hier das unendliche Bewußtsein schon da, weil ja nur ein unendliches Bewußtsein einen unendlichen Raum erkennen kann. Das heißt also, man muß nur von diesem Raum, der da erlebt wird, zu dem hingehen, was ihn erlebt. Und das ist nun nicht mehr unser begrenztes individuelles Bewußtsein, welches wir bisher als „unser eigenes“ Bewußtsein“ kennen, sondern es ist durch die Erfahrung des unendlichen Raumes selbst unendlich geworden.

Wie gesagt, dies ist nur in der Meditation zu erfahren und intellektuell nicht zu verstehen, weil wir ja intellektuell grundsätzlich nur unser persönliches individuelles Bewußtsein benutzen. Unser individuelles Bewußtsein ist also nur ein kleiner Teil dieses unendlichen Bewußtseins, das wir hier in der sechsten Vertiefung erleben. So wie uns in der fünften Vertiefung klar wurde, daß in einem unendlichen Raum kein individueller Körper mehr zu finden sein kann, so wird uns hier in der sechsten Vertiefung, im unendlichen Bewußtsein, klar, daß es kein individuelles Bewußtsein geben kann.
Wir sind nicht mehr nur Beobachter, sondern „Teilhaber“, was soviel bedeutet wie „Wir sind Es.“ Das unendliche Bewußtsein „Ist“. Und es gibt nichts, was davon abgetrennt ist. Somit ist das unendliche Bewußtsein „Ich“, und ich bin das „Unendliche Bewußtsein“. Das erinnert an die häretischen Feststellungen christlicher Mystiker, die behaupten: „Ich bin Gott,“ und „Gott ist Ich.“, was von den Kirchen natürlich bestritten wurde. Jedoch aus der mystischen Erfahrung des eigenen meditativen Bewußtseins heraus trifft es tatsächlich zu: Nur heißt es in Wahrheit nicht, daß das Ich sich groß wähnt und anmaßend wird. Sondern im Gegenteil: Es existiert gar nicht mehr, weil es ja nur dann überhaupt ein unendliches Bewußtsein geben kann.

Wenn man aus dem Zustand der sechsten Vertiefung wieder herauskommt, ist einem klar geworden, daß während dieser Zeit nichts anderes existiert hat außer „Bewußtsein“.
Man darf jetzt nicht glauben, diese Einsichten würden Erleuchtung bedeuten. Sie bedeuten, daß man dabei ist, sich den Weg dorthin zu bahnen und die Steine auf dem Weg mit Hilfe eigener Erfahrung beiseite zu räumen. So werden wir erfahren, daß die Ich-Illusion wiederkehrt und unabhängig von diesen acht Jhanas noch weitere Schritte nötig sind, bis sich das, was wir dort erfahren, vom bloßen Erkennen zum reinen Erleben wird. Dennoch kann schon das Erkennen an sich schon so viel Veränderung bringen: Veränderung in unserem Inneren ebenso, wie vielleicht Veränderung unserer Interessen und Prioritäten - manchmal ablesbar an den Reaktionen von Außenstehenden, daß wir uns eventuell der Erleuchtung nahe wähnen. Da muß man also vorsichtig sein.


7.   Die siebte Stufe kann man als Vertiefung der fünften und sechsten Stufe verstehen. Es ist die Erkenntnis, daß weder im unendlichen Raum noch im unendlichen Bewußtsein irgend etwas von Solidität existiert. Nichts Existentes, woran man sich festhalten könnte. Diese Vertiefung heißt „Die Basis des Nichts“.
Es wird oft falsch so verstanden, daß man hier nichts erlebt. Tatsächlich erlebt man, daß in der Erweiterung des Ganzen, in der Universalität von Körper und Geist nichts besteht, was benennbar ist. Dieser Zustand wird oft als eine Art „Vibration“ erlebt. Oder manchmal auch als eine Art vollkommener Stille, die jedoch außerhalb von einem selbst existiert – im Gegensatz zur vierten Vertiefung, die eine tiefe Stille in unserem Inneren darstellt. Die Stille hier in der siebten Vertiefung muß außerhalb liegen, weil ja in diesem Zustand der Mensch, der das gerade meditativ arrangiert, gar nicht existiert, nachdem das universelle Bewußtsein die Leitung übernommen hat. Die Vibrationen sind durchaus auch „wissenschaftlich“ erklärbar, da ja unsere Wissenschaftler schon seit langem nachgewiesen haben, daß es im ganzen Universum keinen soliden Baustein gibt, daß alles aus Energieteilchen besteht, die ständig zusammenkommen und auseinanderfallen. Sich selbst vom Universum zu separieren zu wollen, ist also ein Wahnsinn. Und dennoch tun wir genau dies tagtäglich: Unser Streben geht immer dahin, daß wir „Herr der Lage“ sein, die Situation von oben herab kontrollieren wollen. Darauf zu verzichten, empfinden wir als Ego-bedrohend. Erst in der meditativen Erfahrung können wir unsere tatsächliche Situation im unendlichen Raum und im unendlichen Bewußtsein begreifen.


8.   Die achte Vertiefung ist im Grunde eine Verstärkung der Vierten!
Sie heißt „Weder Wahrnehmung noch Nichtwahrnehmung“ und bringt eine Ahnung davon mit sich, was ich den „Stillpunkt“ nenne: Wenn man lange genug übt, bemerkt man eines Tages, daß der sich bewegende Geist auch nur Dukkha ist. Das heißt, er bringt nicht nur die Dukkha erzeugenden Wünsche hervor, sondern er ist durch seine Bewegung selbst Dukkha. Alles was sich bewegt, bringt Irritierung mit sich, weil es sich gegeneinander reibt. So hat der Geist, auch wenn er sich nicht körperlich reibt, etwas irritierendes an sich, solange er ständig in Bewegung ist. Es kommt irgendwann der Punkt, wo man das sucht, was nicht mehr irritiert, was vollkommene Ruhe hat. Diese achte Vertiefung bringt zwar noch nicht diesen vollkommenen Stillpunkt. Aber sie steuert darauf hin, weil man in dieser Stufe versucht, sogar die Wahrnehmung des Nichts auszuschalten. In den drei vorangegangenen Stufen muß Wahrnehmung vorhanden sein, da wir uns des jeweiligen Zustandes sonst nicht bewußt sein können. Hier aber wollen wir nun auch die Wahrnehmung so weit verringern, bis sie sich nicht mehr auf etwas Bestimmtes richtet. Dieser Zustand der ausgeschalteten Wahrnehmung ist dann erreicht, wenn zur Hälfte Wahrnehmung und zur Hälfte Nichtwahrnehmung besteht. Die Wahrnehmung existiert als solche noch, aber sie hat kein Ziel mehr. Dieser Zustand erzeugt die größte Ruhe, die wir durch Meditation erreichen können. Er regeneriert den Geist im höchsten Maße und zeigt in die Richtung zu jenem Punkt, wo wir vielleicht loslassen können.


Dies sind also die acht Vertiefungen. Es wird immer wieder gesagt, daß, wenn man die ersten vier Stufen gemacht hat, ganz leicht in die anderen gehen kann. Aber auch der Absprung von der vierten Vertiefung zur Einsicht kann genauso wertvoll sein, als ob man alle Vertiefungen durchschritten hätte. Diese acht Stufen bringen gewisse Fähigkeiten mit sich, die man aber erst benutzen soll, nachdem volle Erleuchtung erlangt wurde, damit die hier gewonnenen Energien nicht in falsche Bahnen gelenkt werden. Der Buddha hat gesagt, daß man die Fähigkeiten, die man durch die Praxis insbesondere der unkörperlichen Jhanas automatisch bekommt, erst nach der Erleuchtung verwendet werden dürfen. Dann können sie vielleicht der Menschheit dienlich werden.


(*) Dies ist die Abschrift eines Vortrages, den ich als Seminar-
teilnehmer mit Zustimmung der Ehrw. Ayya Khema (Im Zeitraum zw. 1992 und 1996) auf Tonband aufgenommen habe.

 

 

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