Buddha in Athen
Die Lehren von Buddha und Epikur in einer kurzen Gegenüberstellung

Hier soll das verblüffende Maß an Übereinstimmung zwischen der Lehre des Buddha und den Texten des nachsokratischen Philosophen Epikur dargestellt werden.

Zunächst ein kurzer Umriß von Epikurs Quellensituation:
Epikurs Gedanken waren nachhaltig insbesondere von einem seiner Lehrer (Nausiphanes) beeinflusst, der die Lehren des ca. hundert Jahre vor ihm lebenden Demokrit vertrat. Dieser wiederum hatte seine im atomistischen Weltbild mündende Theorie vom Wesen der Dinge aus den Gedankenwelten des Heraklith heraus entworfen.

Betreffend die Lebenszeit des Buddha gibt es zwei Ansichten:
Die konservative Ansicht ist, daß er von 563 bis 483 v. Chr. lebte. Neuere Forschungen sprechen von ca. 450 bis 370 v. Chr.

Lebte der Buddha von 563 bis 483 v. Chr., dann war er somit ein (etwa 20 Jahre älterer) Zeitgenosse des vorsokratischen Philosophen Heraklith (ca. 540 bis 475 v. Chr.) Nahezu alle überlieferten Fragmente aus dem Werk Heraklits sind sinngemäß deckungsgleich mit den Kernaussagen des Buddha. Lebte er hingegen von 450 bis 370 v. Chr., dann war er ein Zeitgenosse von Demokrit. (460 - 371 v. Chr.) Auch dessen Ansichten, etwa zum Atomismus oder zur Notwendigkeit der Befreiung von subjektiven Affekten wie Hoffnung oder Angst, stimmen in großen Teilen mit den Lehren des Buddha überein.

Die Frage ist also:
   a) Bezogen und entwickelten Heraklith, Demokrit und Epikur ihre jeweiligen Erkenntnisse ausschließlich über Lehrer aus ihrer eigenen griechischen Geschichte?
  b) Oder gab es über die Handelswege von und nach dem Osten auch einen geistigen Austausch zwischen Indien und Griechenland, der die Lehre des Buddha in den Westen transportierte und dort die griechischen Philosophen mit beeinflusste?
  c) Der Buddha erfuhr seinen Erkenntnisweg alleine aus eigener Kraft in der meditativen Versenkung. Daß er von den Lehren abendländischer Denker beeinflußt wurde, ist auszuschließen. Die griechischen Philosophen hingegen erarbeiteten sich ihre Lehren im gesellschaftlichen Austausch und intellektuellen Disput. Somit könnte eine eventuelle „Befruchtung“ nur in der Richtung von Indien nach Griechenland stattgefunden haben. Sollte nun tatsächlich schon Heraklith von der indischen Weisheitslehre Kenntnis gehabt haben, dann würde dies für 563 v. Chr. als Buddhas Geburtsjahr sprechen. (Wäre der Buddha hingegen um 450 v. Chr. geboren, hätte eine Kenntnisnahme seiner Lehre in Griechenland also erst mit Demokrit stattgefunden.)
   d) Mir ist kein Forschungsergebnis bekannt, welches eine diesbezügliche geisteswissenschaftliche Verbindung von etwa 520 bis 300 v. Chr. zwischen Orient und Occident aufzeigt.
   e) Eventuell ist ja ein solcher Zeiten- und Kulturenvergleich irrelevant und es handelt sich bei den frappierenden Übereinstimmungen zwischen der epikureischen Weltbetrachtung und der Lehre des Buddha einfach nur um die im Lauf der Weltgeschichte öfter zu beobachtende globale Synchronizität analoger Geistessröme? Das scheint in diesem Fall allerdings fraglich, weil es sich hier bei den jeweiligen Lehren nicht nur um breit aufzufassende Allgemeinsätze handelt, sondern um teilweise komplexe Deckungsgleichheiten auch  im Detail. Bevor ich zu einigen dieser Übereinstimmungen komme, will ich zunächst die Brückenpfeiler, über welche hinweg sich der rote Faden der epikureischen Philosophie entwickelte, betrachten – nämlich Heraklith und Demokrit:

(Die nachfolgend blau hervorgehobenen Passagen
decken sich sinngemäß mit Sätzen aus der Lehre des Buddha.)


Kernthesen aus dem Werk Herakliths
(... welches nur bruchstückhaft und größtenteils aus Überlieferungen bekannt ist)

 -  
Alles Existierende befindet sich unablässig in einem natürlichen Prozess aus Veränderung und Bewegung. (“Panta Rhei” – „Alles fließt“)
-  Nach Heraklit ist das Urprinzip des Seins Polemos, der Streit. Er versteht darunter nicht (nur) kriegerische Auseinandersetzung, sondern vor allem den
Widerstreit der Gegensätze, aus deren Wechselspiel erst Harmonie entstehen kann, wodurch diese Gegensätze (wie Tag und Nacht) gleichzeitig eine Einheit bilden. Die zusammenhaltende, das Universum durchdringende Kraft, die diese Vereinigung möglich macht, ist der Logos. Es ist die allen Wesen gemeinsame vernunftgemäße Weltordnung, die auf Erkenntnis und Erklärung beruht. Der Logos ist kein von Göttern oder Menschen geschaffenes starres Konstrukt, sondern „beseelt vom Urfeuer, ewig lebendig sich entzündend und erlöschend“. (Eine Ansicht, die im Gegensatz zur subjektiv-individuellen Weltbetrachtung etwa des Parmenides steht, der das Sein als etwas Unveränderliches verstand.)
-  Heraklit kritisierte die oberflächliche Realitätswahrnehmung, wonach
die meisten Menschen der Sinnestäuschung unterworfen sind. Er spricht von wenigen wachen und einer Mehrheit schlafender Menschen. Die Schlafenden richten sich nur nach ihren individuellen Sinneseindrücken und können so nie Weisheit erlangen. Nur die Wachen gelangen zur wahren Erkenntnis des Logos. 

Zitate Herakliths:
(01)
-  „Beim Umfang des Kreises ist Anfang und Ende dasselbe.“
-  „Der Weg auf und ab ist ein und derselbe.“
-  „In denselben Fluß steigen wir hinein und doch wieder nicht in denselben.
     So sind wir es und sind es doch nicht.
     Denn niemand kann zweimal in denselben Fluß steigen.“
-  „Für die Wachen gibt es eine einzige und gemeinsame Welt.“
-  „Den Namen des Rechtes würde man nicht kennen, wenn es das Unrecht nicht gäbe.“
-  „Es ist immer dasselbe, Lebendes wie Totes, Waches wie Schlafendes, Junges wie Altes. 
     Das eine schlägt um in das andere, das andere wiederum schlägt in das eine um.“


Der Atomismus bei Demokrit (460 - 371 v. Chr.)
und Leukipp (450 bis 370 v. Chr.)

Hintergrund:
Von Leukipp gibt es keine schriftlichen Hinterlassenschaften seiner Lehre. Seine Ansichten sind nur durch Demokrit überliefert. Dieser bezeichnet (den 10 Jahre jüngeren !) Leukipp als seinen Lehrer. Es ist nicht klar auszumachen, welche Ideen aus dem atomistischen Weltbild von Leukipp und welche von Demokrit sind. Der Atomismus von Leukipp und Demokrit wurde 100 Jahre später von der Schule Epikurs aufgegriffen und weitergeführt. (Epikur behauptete, Leukipp sei gar kein historischer Gelehrter gewesen, sondern eine Legende.) Die Existenz Leukipps scheint zwar inzwischen belegt, dennoch glauben auch heute noch einige Historiker, Leukipp habe nie wirklich gelebt, sondern sei ein Pseudonym von Demokrit. Andere wichtige Philosophen wie Platon und Aristoteles lehnten den Atomismus ab.
Der Hauptgrund für diese Ablehnung war, dass für sie die Existenz eines leeren Raumes, also die Existenz etwas "nicht Seienden", unvorstellbar war.

Diese beiden griechischen Philosophen (Demokrit und Leukipp) gelten als Begründer des Atomismus. Sie haben zeitgleich die Theorie aufgestellt, dass die Materie aus unteilbaren Grundbausteinen aufgebaut sei. Diese Atome seien neben dem Raum der Leere das einzig Existierende. Jegliche Materie, ob Stein oder Mensch, entsteht durch Bewegung, Zusammenprall und Anhäufung von Atomen. 
Selbst wenn in Divergenz zum Lehrziel des Buddha Demokrits Atomismus schlußendlich auf ein rein materialistisches Weltbild hinausläuft, ist selbst darin seine Vorstellung der Rückführung einer Existenz von „Seele“ (nach dem Tod eines Menschen) auf atomare Teilchen, die sich in oder zu einem anderen Körper zusammensetzen, der Karma-Erklärung des Buddha nicht fern.

Zitate Demokrits:
(01)
-  „In Wirklichkeit erkennen wir nichts, denn die Wahrheit liegt in der Tiefe.“
-  „Das Glück wohnt nicht im Besitze und nicht im Golde, es ist in der Seele zu Hause.“
-  „Jedes Bad ist eine leibliche Wiedergeburt.“

Wenn Demokrit sagte:
„Nur scheinbar hat ein Ding eine Farbe, nur scheinbar einen Geschmack. In Wirklichkeit gibt es nur Atome und leeren Raum“, stimmt dies vollkommen mit der Lehrmeinung des Buddha zur Illusionshaftigkeit subjektiver Wahrnehmung überein.

Demokrits Vorstellung von heiterer Gelassenheit (Euthymia):
Nach seiner Idee
solle das Endziel allen Handelns die wahre Glückseligkeit in Form von innerer Harmonie und Seelenruhe sein. In seiner Euthymia-Lehre gebraucht er den Begriff der "Lust" zur Idealbeschreibung eines positiven Lebensgefühls. Dies hat bei ihm einen ähnlich zentralen Stellenwert, wie die Entwicklung positiver Gefühle in der Lehre des Buddha.


Epikur (341 bis ca. 271 v. Chr.)

ist vielleicht der am meisten mißverstandene Philosoph des alten Griechenland. Nach seinem Tod wurden seine Theorien in fehlinterpretierter Form (teilweise bis heute) unreflektiert übernommen. Ein zentraler Punkt des Mißverständnisses ist sein Begriff von „Lust“. Dieses Wort wird allgemein als Sinnesfreude oder Sinnesgier verstanden.

Ich vermute, das Mißverständnis beruht ursprünglich darauf, daß die nachfolgenden Philosophen den bei Epikur aufgetauchten Lustbegriff gleichsetzten mit dem Lustbegriff bei Aristipp in der vorhedonistischen Bedeutung von Sinnesbefriedigung. Dieses Verständnis des rohen Genusses entspricht genau dem Zustand des
„Kamavacara“ in der vor-buddhistischen Beschreibung der acht Existenzformen:
Zu Lebzeiten des Buddha fand das Modell der acht Daseinsformen aus vorbuddhistischer Zeit noch eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung: fünf „niedrige“ Zustände (Duggati) und drei „höhere“ Zustände (Sugati). Danach sollte man anstreben, eine mögliche Wiedergeburt in einem der drei göttlichen Daseinszustände zu erreichen. (Dies war jedoch nicht die Lehrmeinung des Buddha! Denn er hatte erkannt, daß jede Form von Geburt, egal in welchem Daseinszustand - Leiden bedeutet und erklärt, daß eine Wiedergeburt in einen der Sugati-Zustände keinen Schritt zur Befreiung darstellt.)
Der erste dieser drei „höheren“ Zustände, in welchen man als „ein Gott der Sinnesfreude“ hineingeboren wird, ist „Kamavacara“. In diesem Zustand herrscht ein Überfluss an Sinnesbefriedigung und Sorglosigkeit. Dieser Zustand stellt die Idealform des Aristipp’schen Hedonismusbildes dar, bzw. eben hundert Jahre später den in der Folge falsch interpretierten epikureischen Lust-Begriff.
 

Und tatsächlich verband auch Epikur mit dem Begriff „Lust“ etwas völlig anderes, als ihm gerne unterstellt wird, nämlich „Lust“ im Verständnis Demokrits. (Siehe oben)
-  Er hat also in der Tradition Demokrits genau wie der Buddha einen
Weg der Mitte gelehrt und unter einem einem „lustbetonten“ Leben verstand er das Streben nach Balance.
-  Kernpunkt der Lehre Epikurs ist das Bemühen um eine
Ausgeglichenheit der Sinne. Diese wird seiner Meinung nach erreicht durch eine Beschränkung auf die Basiswerte bewußten Lebens. Dazu gehören beispielsweise vernunftgeprägte Ernährungsgewohnheiten ebenso wie der rechte (d. h. geistig befruchtende) Umgang mit Freunden.
-  Epikurs „Lust“-Streben bedeutet die
Befreiung von Schmerz und Leiden. Und das wird nicht durch Konsumismus, also Sinnesbefriedigung erreicht, sondern nur durch die Übung der Seelenruhe. Dieses epikureische Verständnis von Gelassenheit ist vollkommen identisch mit der Definition des Begriffs „Gleichmut“ in der buddhistischen Tradition.

Die Übereistimmungenen in den Ansichten Epikurs und des Buddha sind so spezifisch im Detail, daß ich sie nicht pauschal den allgemeingültigen, völkerübergreifenden ethischen Grundsätzen (wie sie etwa allen Religionen zugrunde liegen) zuschreiben mag, sondern behaupte, daß Epikurs Lehre vom Bemühen um innere Ruhe (Ataraxie) und (Aponetos) genau die Basis-Wertbegriffe der originalen Lehre des Buddha wiederspiegelt.


Ein Bekanntwerden der Buddhalehre auf einem anderen Weg als dem über Indien (etwa über die Eroberungspfade Alexanders des Großen) ist auszuschließen: Epikur war im Jahr des Todes von Alexander dem Großen zwanzig Jahre alt und es ist nicht anzunehmen, daß er ausgerechnet über diesen fundierte Erkenntnisse des Buddha erfuhr, weil Alexander eher in anderer Richtung hellenistisches Gedanken- und Kulturgut in die Gegend des heutigen Aghanistan transportierte und sich dort der Buddhismus obendrein erst danach langsam zu etablieren begann.) Von Fürsten griechischer Herkunft auf indischem Gebiet weiß man auch erst ab etwa 250 v. Chr.


 

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